Interview-Reihe, Teil 3: Tomas Langer über SLAPPs

Die rechtliche Verteidigung gegen SLAPPs ist ein nach wie vor weitgehend unentwickeltes Gebiet. Die meisten Rechtsanwält*innen haben, wenn überhaupt, nur eine vage Vorstellung von SLAPPs, da die Thematik im Studium und den bestehenden regelmäßigen Fortbildungen noch kaum präsent ist.

Wir organisieren im Rahmen des PATFox-Projekts Fortbildungen und Vernetzungstreffen für Anwält*innen, um genau das zu ändern. Und haben mit Expert*innen gesprochen, die bereits viele Erfahrungen mit SLAPPs gesammelt haben. Deren Erfahrungen und Perspektiven stellen wir in dieser Interview-Reihe vor.

JUDr. Tomas Langer, LL.M. ist Rechtsanwalt in Bratislava, Slowakei. Er ist seit über 16 Jahren Spezialist für die Verteidigung in Rechtsangelegenheiten in den Bereichen geistiges Eigentum, Medien, Werbung, Immobilien und Gesellschaftsrecht. Tomas hat prominente Medienkunden in Dutzenden von Fällen zum Schutz von Persönlichkeitsrechten vertreten und ist einer der führenden SLAPP-Verteidiger der Slowakei. Als solcher ist er auch auf die Verteidigung von Klienten gegen öffentlichkeitswirksame Angriffe auf den Ruf in Online-Medien und sozialen Netzwerken spezialisiert. Außerdem veröffentlicht er und hält Vorträge, insbesondere über den Schutz der Persönlichkeitsrechte und über die Meinungsfreiheit.

Können Sie die SLAPP-Fälle, die Sie in den vergangenen Jahren betreut haben, charakterisieren - ist Ihnen "der" SLAPP Fall begegnet, oder sind es eher jedesmal verschiedene? Was macht diese Fälle aus?

Vielen Dank für die Einladung und dafür, dass ich Ihnen Einblicke in meine Erfahrungen auf diesem Gebiet geben kann. Ich werde von meinen Erfahrungen mit slowakischen Fällen berichten, da dies mein Arbeitsgebiet ist, wobei ich mir der breiteren internationalen Dimension von SLAPPs durchaus bewusst bin. 

Von den 200 medienbezogenen Fällen, die ich in den letzten Jahren verteidigt habe, waren wahrscheinlich 10 bis 20 % SLAPPs. Bei den Klägern handelte es sich in den meisten Fällen um einflussreiche Personen wie Geschäftsleute, Politiker oder Richter, aber auch um Unternehmen und Finanzgruppen, die es auf investigative Journalisten abgesehen haben, die Artikel veröffentlichen, in denen Geschäftsmethoden kritisiert oder Korruption transparent gemacht werden. Ein weiteres wichtiges Merkmal von SLAPP ist, dass solche Fälle als übertrieben oder sogar unbegründet angesehen werden. Und: Die Kläger fordern unverhältnismäßig hohe Schadensersatzzahlungen. Gewöhnlichen Klägern wird in der Regel eine Entschädigung von etwa 20.000 € zugesprochen. Die Kläger in SLAPP-Fällen fordern jedoch 100.000€ oder sogar mehrere Millionen Euro für kritische Berichterstattung. 

Was mir nicht sehr oft begegnet, sind Fälle, die mit Umweltaktivismus zu tun haben. Meiner Erfahrung nach richten sich SLAPPs in der Slowakei meist gegen investigative Journalisten. Die meisten dieser Journalisten werden mit einer Taktik geschlagen, die sich auf die Belästigung durch eine große Anzahl von Eingaben der Kläger konzentriert (z.B. Strafanzeigen oder Anträge auf Erwiderung), deren Beantwortung zeitaufwändig und einschüchternd für die Zielpersonen ist. 

Denken Sie, dass es gute praktische Möglichkeiten gibt, das schnell abzufertigen?

Leider gibt es bis jetzt keine einfachen Antworten. Und ich denke, das ist ein generelles Problem, nicht nur für uns hier in der Slowakei. Denn: Bisher gibt es in keinem europäischen Mitgliedsstaat ein Anti-SLAPP-Gesetz. Ich denke, dass solche Maßnahmen der Schlüssel sind, um schnell zugängliche Maßnahmen gegen SLAPPs zu ermöglichen. Daher unterstütze ich den von der Europäischen Kommission vorgelegten Richtlinienentwurf nachdrücklich. Ein besonders wichtiger Mechanismus ist dabei die Möglichkeit, SLAPP-Klagen frühzeitig abzuweisen. Ich sehe viele unbegründete Fälle, bei denen die missbräuchliche, strategische Absicht des Klägers von Anfang an klar ist, aber die Richter den Fall trotzdem weiterverfolgen, was den SLAPPern hilft.

Welche Bedeutung hat SLAPP für Ihre Berufspraxis? Unterscheiden sich solche Fälle von anderen Fällen?

Da ich bereits eine große Anzahl von Journalisten vertreten und gegen viele SLAPPs verteidigt habe, ist das Verfahren ziemlich standardisiert. Mein Vorgehen beruht immer auf einer gründlichen Analyse der Falldokumentation. Falls verfügbar, lege ich dem Gericht Beweise für den Wahrheitsgehalt der verklagten Nachrichtenberichte vor. Darüber hinaus beziehe ich mich auf die Rechtsprechung, z. B. auf Urteile des slowakischen Verfassungsgerichts, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg oder auf Urteile aus anderen EU-Ländern, insbesondere aus der Tschechischen Republik. Die tschechischen Gerichtsurteile sind sehr nützlich gegen SLAPP und bieten eine wertvolle Orientierung für die Anti-SLAPP-Verteidigung in der Slowakei. 

Ich würde sagen, dass es einen grundlegenden, bedeutenden Unterschied zwischen SLAPP und anderen Fällen gibt. Die slowakische Demokratie ist immer noch eine junge Demokratie, 1989 geboren. Wenn ich gegen SLAPPs verteidige, habe ich das Gefühl, dass ich nicht nur den Klienten des konkreten Falles verteidige, sondern die Demokratie als Ganzes - denn es geht um das demokratische Recht auf freie Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit.

Sind SLAPP Fälle anstrengender als andere Fälle?

Ja. Die Konsequenzen sind oft ziemlich massiv: Wenn der Kläger erfolgreich ist, hat der Ausgang des Verfahrens negative Auswirkungen auf ganze Gemeinschaften, Bewegungen oder sogar Regionen oder ein ganzes Land. Wenn mächtige Kläger versuchen, mit SLAPPs gegen die freie Meinungsäußerung und das Recht auf unabhängige Informationen vorzugehen, werden demokratische Mechanismen grundlegend bedroht, und die Öffentlichkeit selbst wird in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, eine kritische Meinung zu entwickeln. Die Folgen dieser Fälle reichen also meiner Meinung nach viel weiter, was sich natürlich auch auf den individuellen Stresspegel der Betroffenen auswirkt. Deshalb unterschätze ich diese Fälle nie, auch wenn es so aussieht, als ob die Klage der Kläger vor Gericht nicht gewonnen werden kann.

Wie nehmen Sie den Fachdiskurs zu SLAPP der vergangenen 2-3 Jahre wahr? Wie wird das Thema in der Anwaltschaft in Ihren Augen thematisiert und diskutiert, welches (Un-)Verständnis entwickelt sich in der Justiz dafür?

Ich denke, dass die slowakische Öffentlichkeit spätestens mit der Ermordung des Journalisten Ján Kuciak im Jahr 2018 erkannt hat, dass Journalisten massiv bedroht sind. Kurciak erhielt kurz vor seiner Ermordung einen Drohanruf und wurde eingeschüchtert, seine journalistische Arbeit nicht fortzusetzen. Dieser tragische Fall lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und vieler offizieller Institutionen auf die anhaltenden Drohungen gegen Journalisten und NGOs.

Was den professionellen Diskurs in der Justiz betrifft: Ich bin besorgt über die Haltung der Richter. Sie sind sich oft nicht darüber im Klaren, dass die Fortführung von SLAPP-Fällen, selbst wenn sie erkennen, dass der Fall unbegründet ist, den Zielen der Verteidigung schadet: Wenn die Richter mehr Beweise, mehr Verhandlungstage usw. akzeptieren, arbeiten sie zugunsten der Kläger. Ich denke, es wäre notwendig, Richter in dieser Hinsicht zu schulen und das Bewusstsein für den Charakter von SLAPPs auch in diesem Bereich zu schärfen. Die Öffentlichkeit ist sich der SLAPPs bewusst, das Justizministerium auch, aber in den Gerichtssälen wird in diesen Fällen oft sehr wenig zugunsten der Verteidigung und der Gerechtigkeit getan.

Was ist Ihr Ausblick - welche Rolle werden SLAPPs in den kommenden 2-3 Jahren spielen?

Ich denke, dass SLAPPs auch in Zukunft eine Bedrohung darstellen werden. Und dass es umso relevanter ist, wie die jeweiligen Staaten mit Gesetzen dagegen vorgehen werden. Eine angemessene Reaktion ist erforderlich, z.B. die Erweiterung der Definition und des Anwendungsbereichs von "SLAPP". Rechtliche Schritte sind nicht immer die schnellsten und besten und einzigen Optionen, und ich denke, eine angemessene öffentliche Reaktion auf dieses Thema wird weiterhin von Bedeutung sein.

Als besonders besorgniserregende Entwicklung beobachte ich, wie sich SLAPP-Fälle mehr und mehr von den Gerichtssälen in die sozialen Medien verlagern, wo SLAPP-Zielpersonen zunehmend durch aggressive und bedrohliche Posts, Videos oder geteilte Pressemitteilungen belästigt werden. Dies muss stärker thematisiert werden, da diese Art von öffentlich verbreiteten Drohungen einen besorgniserregenden Einfluss auf die öffentliche Meinung haben. Und sie haben auch den Charakter von SLAPPs, da diese Akteure öffentlich ankündigen, in Kombination mit Hassreden und der Verbreitung von Verschwörungstheorien rechtliche Schritte gegen kritische Journalisten einzuleiten. Die Anhänger der SLAPPer (z. B. Politiker) übernehmen nicht nur diese feindseligen Narrative gegenüber Journalisten (in Facebook, Telegram, Youtube usw.), sondern es folgen oft auch physische Drohungen und sogar persönliche Konfrontationen.

Auf diese Weise funktioniert die öffentliche Beschuldigung von Journalisten als strategische Einschüchterung, die nicht mehr den Gerichtssaal benötigt, sondern die sozialen Medien nutzt, um einen SLAPP-typischen Abschreckungseffekt auf Journalisten und Menschenrechtsaktivisten auszuüben. Dem muss durch politische Maßnahmen, neue Gesetze und eine ernsthafte Debatte mit den Anbietern sozialer Plattformen über ihre Verantwortung angemessen begegnet werden.

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