Wie Commons-Ansätze demokratische Öffentlichkeit stärken können

Die demokratische Öffentlichkeit steht unter Druck – und zwar von mehreren Seiten gleichzeitig. Während strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung, sogenannte SLAPPs, kritische Stimmen durch juristische Einschüchterung zum Schweigen bringen wollen, schaffen digitale Vulnerabilitäten und algorithmische Steuerung neue Machtasymmetrien. Was auf den ersten Blick wie drei getrennte Problemfelder erscheint, erweist sich bei genauerer Betrachtung als zusammenhängendes Phänomen: Die autoritäre Verformung digitaler und öffentlicher Räume. Ein Blick auf internationale Ansätze zeigt jedoch, dass es Wege gibt, diese Herausforderungen gemeinsam anzugehen.

Die dreifache Herausforderung demokratischer Öffentlichkeit

Wer heute kritisch über Missstände berichtet, gegen Umweltzerstörung protestiert oder Korruption aufdeckt, sieht sich zunehmend mit rechtlichen Drohungen konfrontiert. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Eine Studie der Coalition Against SLAPPs in Europe (CASE) dokumentiert eine Versechsfachung der SLAPP-Fälle seit 2016. Allein die No SLAPP Anlaufstelle in Deutschland hat seit Mai 2024 über 50 Fälle betreut. Diese strategischen Klagen zielen nicht darauf ab, Recht zu bekommen – sie wollen einschüchtern. Die hohen Streitwerte, oft 60.000 Euro und mehr, können für Journalist:innen, Aktivist:innen oder kleine NGOs existenzbedrohend sein.

Parallel dazu macht die digitale Transformation kritische Öffentlichkeitsarbeit verwundbarer. Wer heute investigativ recherchiert oder Whistleblower:innen schützt, braucht nicht nur journalistisches Handwerkszeug, sondern auch Kenntnisse in Datensicherheit. Die Asymmetrie ist offensichtlich: Während ressourcenstarke Akteure sich professionelle IT-Sicherheit und Rechtsberatung leisten können, stehen viele Engagierte Bürger:innen dieser doppelten Herausforderung allein gegenüber.

Die dritte Dimension betrifft die zunehmende algorithmische Steuerung von Öffentlichkeit. Künstliche Intelligenz bestimmt mit, welche Themen sichtbar werden, welche Debatten geführt werden und wer überhaupt Gehör findet. Während Expert:innen in akademischen und wirtschaftlichen Räumen über KI-Ethik diskutieren, bleiben lokale Akteur:innen bei der Entwicklung und Governance dieser Systeme außen vor. Die Produktionsöffentlichkeit, also die Möglichkeit, eigene Erfahrungen authentisch zu organisieren und auszudrücken, wird im algorithmischen Zeitalter neu gewichtet - meist zuungunsten der Zivilgesellschaft.

Angesichts dieser dreifachen Bedrohung demokratischer Öffentlichkeit stellt sich die Frage nach konkreten Gegenstrategien. Die Rechtswissenschaftlerin Katja Schubel weist in ihrem Aufsatz "Demokratisierung städtischen Raums: Ein Recht für Urban Commons" auf einen vielversprechenden Ansatz hin. Sie definiert Urban Commons als "direktdemokratisch selbstverwaltete, inklusive und gemeinwohlorientierte Räume in städtischen Quartieren", die durch bewusste Selbstorganisation von Gleichrangigen entstehen. Ob Gemeinschaftsgärten, selbstverwaltete Theater oder besetzte Kulturzentren – diese Räume praktizieren bereits heute eine andere Form der Öffentlichkeit, die auf Commoning basiert: der kollektiven Gestaltung und Verwaltung gemeinsamer Ressourcen. 

Das Bemerkenswerte an Schubels Analyse ist, dass sie diese Praktiken nicht nur als soziale Bewegungen versteht, sondern als Grundlage für neue Rechtsinstrumente. Ihr Verständnis von Commons-Public-Partnerships bietet einen rechtlichen Rahmen für Kooperationen zwischen zivilgesellschaftlichen Commons und der öffentlichen Hand – und damit möglicherweise auch einen innovativen Rahmen für selbstverwaltete Ansätze gegen rechtliche Einschüchterung, digitale Angriffe und algorithmische Fremdbestimmung. Verschiedene Beispiele zeigen, dass solche Ansätze bereits mehr sind als utopische Träumerei, und können als Inspirationsquelle für Ansätze im Bereich digitaler Teilhabe und Datensicherheit dienen.

Von Bologna nach Berlin: Commons-Public-Partnerships

Ein Blick nach Italien zeigt interessante Entwicklungslinien auf, wie in diesem Sinne demokratische Resilienz aufgebaut werden kann. In Bologna entstand 2014 eine bemerkenswerte Verordnung über die Kollaboration zwischen Bürger:innen und der öffentlichen Verwaltung zur Pflege und Regeneration von Urban Commons. Diese Verordnung, maßgeblich vorangetrieben von den Rechtswissenschaftler:innen Christian Iaione und Sheila Foster, schafft einen rechtlichen Rahmen für sogenannte Kollaborationspakte zwischen Stadt und aktiven Bürger:innen.

Was macht diesen Ansatz so interessant? Die Verordnung definiert Urban Commons als rechtlichen Begriff und macht sie damit justiziabel. Sie legt fest, welche Unterstützung Commons-Initiativen von der Stadt erwarten können – von der Bereitstellung von Räumen bis zur finanziellen Förderung. Und sie schafft klare Zuständigkeiten in der Verwaltung. Dabei geht es nicht um primär harmonische Partnerschaften, sondern um tendenziell konflikthafte, aber dafür umso produktive Formen der Anerkennung. Der entscheidende Punkt sind Selbstverwaltungsrechte – nicht nur Nutzung, sondern eigenständige Rechtsetzung von unten.

In Neapel ging man noch einen Schritt weiter. Das besetzte Kulturzentrum Ex-Asilo Filangieri erklärte sich 2012 zum "bene comune" (Gemeingut) und berief sich dabei auf das jahrhundertealte Gewohnheitsrecht des "uso civico". Diese Selbstverwaltungserklärung wurde schließlich von der Stadt anerkannt. Eine Arbeitsgruppe aus Künstler:innen, Nutzer:innen und kritischen Jurist:innen wie Giuseppe Micarelli entwickelte dafür die rechtliche Grundlage. Der Clou: Man übertrug ein historisches Rechtskonzept kollektiver Landbewirtschaftung auf moderne Urban Commons.

In Deutschland zeigen sich erste Ansätze dieser Entwicklung. Das Haus der Statistik in Berlin bezeichnet sich selbst als Civic Public Partnership, auch wenn hier noch keine vollständigen Selbstverwaltungsrechte vorliegen. Die Neckar-Inseln haben eine Vereinbarung mit dem Bundesschifffahrtsamt ausgehandelt. In Münster experimentiert das Hansa-Forum mit neuen Kooperationsformen. Was bei all diesen Beispielen fehlt, ist ein übergreifender rechtlicher Rahmen wie in Bologna.

Integrierte Schutzarchitekturen: Der Weg nach vorn

Ein möglicher Weg nach vorne könnte vor diesem Hintergrund in der Verknüpfung von Freedom of Speech, Datensouveränität und partizipativer KI-Governance durch Commons-Ansätze liegen. Kommunale Resilienz-Hubs, die Rechtsberatung, IT-Sicherheit und KI-Kompetenz unter einem Dach vereinen, könnten an bestehende Strukturen wie Hackerspaces, Volkshochschulen, Rechtsberatungsstellen andocken, diese miteinander vernetzen und basisdemokratischer Aushandlung zugänglich machen.

Commons-Public-Partnerships könnten dabei den rechtlichen Rahmen bilden. Wenn Gruppen formale Selbstverwaltungsrechte haben, wird rechtliche Einschüchterung schwieriger. Die Anerkennung als Commons-Institution schafft eine andere Verhandlungsposition gegenüber dem Staat und einzelnen privaten Akteuren. Gleichzeitig könnten solche Partnerschaften digitale Infrastrukturen umfassen: selbstverwaltete Serverstrukturen, Community-Netzwerke, kollektive Schutzarchitekturen.

Für die KI-Governance bedeutet das, den Polyzentrismus ernst zu nehmen, den die Ökonomie-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom für Commons beschrieben hat: Multiple Entscheidungszentren statt zentralistische Steuerung. Wer von algorithmischen Systemen betroffen ist, sollte bei deren Gestaltung mitreden können. Das erfordert partizipative Technikfolgenabschätzung auf kommunaler Ebene und Bürger:innenplattformen für algorithmische Systeme im öffentlichen Raum.

Ein konkretes Beispiel: Die Stadt könnte eine Verordnung nach Bologneser Vorbild erlassen, die digitale Commons als schützenswerte Güter definiert. Initiativen, die sichere Kommunikationsinfrastruktur für die Zivilgesellschaft bereitstellen, könnten Kollaborationspakte mit der Verwaltung schließen. Diese würden nicht nur Räume und Ressourcen sichern, sondern auch rechtlichen Schutz bieten. Wenn eine Initiative als Commons-Partner der Stadt anerkannt ist, haben antidemokratischer Akteure höhere Hürden zu überwinden.

Das deutsche Grundgesetz als ungenutztes Potential

Interessanterweise bietet das deutsche Recht durchaus Anknüpfungspunkte. Artikel 15 des Grundgesetzes, der die Vergesellschaftung ermöglicht, wurde bisher kaum genutzt, könnte aber auch für Commons-Public-Partnerships fruchtbar gemacht werden. Das Demokratie- und Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 GG bietet weitere Ansatzpunkte. Und die deutsche Geschichte kennt durchaus Formen des Gemeineigentums und der Allmende, an die angeknüpft werden könnte.

Die Law Clinic Transformationsrecht an der Universität Frankfurt, geleitet von Professorin Isabel Feichtner, zeigt, wie kritische Jurist:innen zwischen sozialen Bewegungen und Rechtssystemen übersetzen können. Studierende arbeiten hier direkt mit Initiativen zusammen, um rechtliche Wege für Commons zu erkunden. Diese Art der Zusammenarbeit ist essentiell: Ohne juristische Expertise bleiben Commons oft in rechtlichen Grauzonen gefangen.

Die Zukunft der demokratischen Öffentlichkeit

Die autoritäre Verrechtlichung der Öffentlichkeit – sei es durch SLAPPs, digitale Überwachung oder algorithmische Steuerung – kann nicht durch Einzelmaßnahmen gekontert werden. Es braucht eine emanzipatorische Verrechtlichung, die Selbstverwaltungen ermöglicht, statt sie zu verhindern, die Solidarität stärkt, statt Vereinzelung zu fördern, und die präfigurative Räume schafft für die Gesellschaft, die wir uns wünschen.

Commons-Public-Partnerships sind dabei kein Allheilmittel. Sie sind ein Werkzeug im Werkzeugkasten demokratischer Transformation. Ihre Stärke liegt darin, dass sie die drei Dimensionen der Herausforderung zusammendenken: Sie schaffen rechtliche Anerkennung und damit Schutz vor Ausbeutung und Einschüchterung. Sie ermöglichen kollektive Datensouveränität statt individueller Vulnerabilität. Und sie bieten einen Rahmen für partizipative Technikgestaltung statt technokratischer Fremdbestimmung.

Der Weg dorthin ist konfliktreich. Commons-Public-Partnerships entstehen nicht aus harmonischer Kooperation, sondern aus produktiver Auseinandersetzung. Verschiedene Kämpfe – gegen SLAPPs, für Datensouveränität, für demokratische KI-Gestaltung – müssen zusammengeführt werden. Aber genau darin liegt auch die Chance: In der Verbindung dieser Kämpfe entsteht die Kraft für grundlegende Veränderung.

Die internationale Erfahrung zeigt, dass dies möglich ist. Von Bologna bis Neapel, von Berlin bis Münster entstehen neue Formen demokratischer Selbstorganisation, die dem Druck von oben etwas entgegensetzen. Sie zeigen: Die Verteidigung demokratischer Öffentlichkeit ist keine Defensivstrategie. Sie ist der Aufbau einer anderen Rechts- und Gesellschaftsordnung, Stück für Stück, Konflikt für Konflikt, Commons für Commons.

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